NAZIS in dt. BEHÖRDEN

Innenministerium – brauner als gedacht

Unter den leitenden Mitarbeitern im Bundesinnenministerium waren bis in die siebziger Jahre hinein weit mehr Nazis als bisher angenommen. Das ergibt eine neue Studie. Andere Behörden waren noch brauner.

2010 gab es großen Wirbel um eine Studie zum Einfluss der Nazis im Außenministerium – während und nach der Nazizeit. In der Folge verlor das Auswärtige Amt den Nimbus, ein Hort des Widerstandes gewesen zu sein. Nun rückt ein weiteres bedeutendes Bundesministerium in den Fokus der Forschung: Im Bundesinnenministerium (BMI) war die Quote der Ex-Nazis nach dem Krieg besonders hoch, wie eine Studie der beiden zeitgeschichtlichen Leibniz-Institute ZZF Potsdam und IfZ München-Berlin zeigt.  

1950 war demnach jede zweite Führungskraft im Innenministerium ein ehemaliges NSDAP-Mitglied. Der Anteil stieg bis Ende der 1950er-Jahre, 1961 lag die Quote der Ex-Nazis daher sogar bei zwei Drittel. Die Sensibilität, was persönliche Verstrickungen im Nationalsozialismus betrifft, sank und spielte bei der Personalpolitik eine noch geringere Rolle als nach dem Zweiten Weltkrieg. Das sei ein „allgemeiner gesellschaftlicher Trend“ gewesen, der auch in anderen Bundesbehörden zu beobachten gewesen sei, heißt es in der Studie. Im Schnitt der Jahre 1949 – 70 ergab sich eine Quote von 54 Prozent im Innenministerium.

Ähnlich entwickelte sich der Studie zufolge der Anteil ehemaliger SA-Mitglieder an leitenden Mitarbeitern im Innenministerium: Er lag 1950 bei 17 Prozent und  stieg bis 1961 auf 45 Prozent an. Weitgehend konstant blieb die Zahl der ehemaligen Angehörigen der SS, die zwischen fünf und acht Prozent schwankte. Noch höhere Anteile von Ex-NSDAP-Mitgliedern fanden die Forscher bisher nur im Bundesnachrichtendienst und im Bundeskriminalamt: Dort lagen die Quoten im Schnitt bei 57 Prozent bzw. 75 Prozent für den Zeitraum 1949 - 70. Auch hier geht es um leitende Mitarbeiter ab der Referatsleiter-Ebene.

Die Leibniz-Historiker nahmen sich erstmals auch das ostdeutsche Pendant des Bundesinnenministeriums vor: Und es zeigte sich, dass auch in der angeblich so antifaschistischen DDR das Innenministerium nicht auf die Expertise aus dem Dritten Reich verzichten wollte: Im dortigen Ministerium des Innern fanden die Forscher in der Leitungsebene immerhin 14 Prozent Ex-Nazis – und damit weit mehr als bisher angenommen und in den DDR-Statistiken ausgewiesen.

Welche Auswirkungen diese Personalpolitik auf die Arbeit des Bundesinnenministeriums hat, wollen die Historiker nun im zweiten Teil ihres Forschungsprojekts klären. Tendenzen sind jedoch heute schon sichtbar: „Es gibt klare Hinweise auf fortbestehende antisemitische Grundhaltungen im Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferat des BMI und auf Kontinuitäten bei der obrigkeitlichen Zensurpraxis in der Kulturabteilung“ schreiben die beiden Autoren Frank Bösch vom ZZF und Andreas Wirsching vom IfZ mit Blick auf die ersten Jahrzehnte des Amtes.

Demgegenüber sei zumindest in der Frühzeit das Bundesverfassungsgericht ein Gegenspieler des Bundesinnenministerium gewesen, „das stärker die grundgesetzlich normierten Freiheiten einforderte und damit auch die Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts vorantrieb“.

Entnazifizierung im besetzten Deutschland

Als Entnazifizierung (zeitgenössisch und veraltet auch Entnazisierung oder Denazifikation) bezeichnet man die ab Juli 1945 umgesetzte Politik der Vier Mächte, die darauf abzielte, die deutsche und österreichische Gesellschaft, Kultur, Presse, Ökonomie, Justiz und Politik von allen Einflüssen des Nationalsozialismus zu befreien. Deutschland und Österreich sollten umfassend demokratisiert und vom Militarismus befreit werden.[1Vordringliche Ziele waren die Auflösung der NSDAP, die 8,5 Millionen Mitglieder hatte, und der ihr angeschlossenen Organisationen sowie die Einziehung ihres Vermögens mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2, der Kontrollratsdirektive Nr. 38 und der Kontrollratsdirektive Nr. 50,[2] außerdem die Entfernung und der Ausschluss von Nationalsozialisten und Militaristen aus der öffentlichen Verwaltung und anderen Stellen nach dem Gesetz Nr. 104 (Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus).

Personenkreis

Im Januar 1946 verabschiedete der Alliierte Kontrollrat in Berlin die Kontrollratsdirektive Nr. 24,[7] die in Art. 10 detailliert die Personengruppen definierte, die zwangsweise aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern und aus verantwortlichen Stellungen in bedeutenden privaten Unternehmen entfernt und durch solche Personen ersetzt werden sollten, „die nach ihrer politischen und moralischen Einstellung für fähig erachtet wurden, die Entwicklung wahrer demokratischer Einrichtungen in Deutschland zu fördern“. Zu den zu entfernenden Personen zählten an erster Stelle jene Personen, die auf der Kriegsverbrecherliste der Alliierten Kommission für Kriegsverbrechen standen, sodann hauptamtlich im Offiziersrang tätige Parteimitglieder, beispielsweise die Reichs- und Gauleiter sowie die hauptamtlich in den Parteigliederungen sowie den angeschlossenen und den betreuten Parteiverbänden tätige Personen, außerdem Beamte und Juristen.[8]

Personen, die als „überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus voraussichtlich undemokratische Traditionen verewigen“ würden wie Berufsoffiziere der Deutschen Wehrmacht oder Personen, die die preußische Junkertradition verkörperten, sollten gem. Art. 11 sorgfältig überprüft und gegebenenfalls nach Ermessen entfernt werden. Art. 12 enthielt ermessensleitende Kriterien, die an die mehr als nur nominelle Mitgliedschaft in weiteren NS-Organisationen anknüpften wie die freiwillige Mitgliedschaft in der Waffen-SS oder die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel mit Beitritt vor dem 25. März 1939. Außerdem sollten nahe Verwandte prominenter Nationalsozialisten nicht beschäftigt werden. Es sei „wesentlich, daß die leitenden deutschen Beamten an der Spitze von Provinzen, Regierungsbezirken und Kreisen erwiesene Gegner des Nationalsozialismus sind, selbst wenn dies die Anstellung von Personen nach sich zieht, deren Eignung, ihren Aufgabenkreis zu erfüllen, geringer ist“ (Art. 13).

Entnazifizierungsbeschluss

Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (BGBl. I S. 307) wurde am 10. April 1951 vom 1. Deutschen Bundestag bei nur zwei Enthaltungen verabschiedet[35] und am 13. Mai 1951 verkündet. Dieses Gesetz, das rückwirkend zum 1. April in Kraft trat, wird mitunter als „Entnazifizierungsschlussgesetz“ oder auch als „131er-Gesetz“ bezeichnet. Es sicherte mit Ausnahme der Gruppen 1 (Hauptschuldige) und 2 (Belastete) die Rückkehr in den öffentlichen Dienst ab. Quasi zum moralischen Ausgleich hatte der Bundestag das „Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes“ (BGBl. I S. 291) wenige Tage vorher einstimmig verabschiedet und einen Tag vor dem Entnazifizierungsschlussgesetz verkündet. Kritik hatte es zuvor von verschiedenen Seiten gegeben.

Entlastungszeugnis nach dem Gesetz zur Fortführung und zum Abschluss der Entnazifizierung vom 15. Februar 1948

Vergleichbare Gesetze wurden auch auf Landesebene beschlossen, so z. B. in Schleswig-Holstein zunächst das „Gesetz zur Fortführung und zum Abschluss der Entnazifizierung“ vom 15. Februar 1948, das mit einer breiten Mehrheit aus allen Parteien angenommen wurde, und später das umstrittene „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung“ vom 14. März 1951, das u. a. die Rückkehr ehemaliger NS-Funktionäre bis in höchste Ämter der Politik und Verwaltung ermöglichte. Für die Rückkehr belasteter Personen in öffentliche Ämter wurde das Schlagwort der Renazifizierung gebildet. Unter anderem wurde es von CDU-Innenminister Paul Pagel geprägt, einziges Kabinettsmitglied ohne NS-Vergangenheit in der Regierung von Walter Bartram.[36]

Die Entnazifizierung fand damit auf Bundesebene und in den meisten Bundesländern ihr endgültiges Aus, was von vielen in der Bevölkerung widerspruchslos akzeptiert wurde.

Nach Ende der Entnazifizierung

Nach dem Entnazifizierungsschlussgesetz von 1951 wurde zu verschiedenen Anlässen eine erneute oder endgültige Entnazifizierung gefordert.

Beim Aufbau der Bundeswehr standen militärische und politische Führung vor der Frage, wie sie mit der NS-Vergangenheit zahlreicher hochrangiger Soldaten der Wehrmacht umgehen sollte, die nun wieder Soldat wurden. Geschichte der Bundeswehr Personalgutachterausschuss und NS-Vergangenheit

Das Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 (AusglLeistG)[45] bestimmt in § 1 Abs. 4, dass unter anderem Personen, die dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub geleistet“ haben, keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben. Daraus ergab sich die Frage, ob dies auch Personen sein können, die bei der Entnazifizierung als „entlastet“ eingestuft worden waren. Mit Bezug auf Alfred Hugenberg urteilte das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2005, eine damalige Einstufung als „Entlasteter“ oder „Minderbelasteter“ sei „für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für einen Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG vorliegen, ohne Bedeutung“. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Ausschlussregelung in § 1 Abs. 4 AusglLeistG diene einem ganz anderen Zweck als seinerzeit die Entnazifizierung, bei der es um die Abwehr von Gefahren beim Neuaufbau gegangen sei.[46] Auf dieses Urteil berief sich das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) 2008 im Fall der Erben von Erich Kulke, der als entlastet eingestuft worden war.[47]

Im Zusammenhang mit der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund wies 2012 eine Gruppe „Aktion Entnazifizieren“ außerdem auf die unklare Rolle der Verfassungsschutz-Behörden im Zusammenhang mit der rechtsextremen Mordserie hin und projizierte die Forderung „Entnazifizieren“ an das Innenministerium und das Kanzleramt.[48] Die Aktion wurde von Politikern wie den Bundestagsabgeordneten Mechthild Rawert, Memet Kılıç, Sevim Dağdelen und Ulla Jelpke sowie Künstlern, Journalisten und Gewerkschaftern unterstützt.[49]

Kriegsverbrecher

Für das Kriegsverbrechergesetz zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, Kriegshetzerei, missbräuchlicher Bereicherung, Denunziation und Hochverrat am österreichischen Volk während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft[51] galt gemäß der Lehre von Wilhelm Malaniuk das Rückwirkungsverbot nicht, so dass die NS-Verbrechen strafrechtlich verfolgt werden konnten.[52][53][54]

Anhand von vier Kriegsverbrecherlisten, welche am 4. Dezember 1945, 13. Jänner 1946, 16. April 1946 und am 5. Juni 1946 in den österreichischen Zeitungen veröffentlicht wurden, wurde nach 242 maßgeblich Hauptverantwortlichen der NS-Verbrechen gefahndet.[55] Im Gegensatz zu Deutschland wurde diese Tätergruppe nicht der alliierten, sondern der österreichischen Gerichtsbarkeit zugeführt. Ernst Kaltenbrunner und Arthur Seyß-Inquart beispielsweise wurden im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet.[56] Nur ein geringer Teil der Kriegsverbrecher wurde in den österreichischen Nachkriegsprozessen verurteilt, auch alle vier Angeklagten in den Wiener Auschwitz-Prozessen 1972 freigesprochen.[57] Die bis 1955 für die Aburteilung zuständigen Volksgerichte verhängten insgesamt 43 Todesurteile, von denen 30 vollstreckt wurden, aber auch lange Haftstrafen. Insgesamt wurden von den 137.000 untersuchten Fällen 23.000 Urteile verkündet.[58] Bei einer Verurteilung nach dem Kriegsverbrechergesetz wurde neben der Freiheits- oder Todesstrafe auch das gesamte Vermögen des Täters eingezogen.

Quelle: Handelsblatt / Barbara Gillmann, Wikipedia