Diese „Brandmauer“-Debatte ist einer Demokratie unwürdig!

Die Debatte über den Umgang mit der AfD wird auf einem erschreckend niedrigen Niveau geführt. Jüngstes Beispiel: Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) fürchtet öffentlich, die AfD könnte eine „Auftragsliste des Kremls“ abarbeiten. Beweise dafür hat er keine. Was soll das?

Eine politische Brandmauer ist normalerweise dazu da, sich von extremistischen oder radikalen Kräften abzugrenzen, um eine politische Kooperation oder Zusammenarbeit zu verhindern, die als schädlich für das Land oder die Demokratie angesehen wird. Wenn die Brandmauer aber nicht die eigenen Interessen schützt, sondern die Stabilität und das Funktionieren des Landes gefährdet, kann sie als gegen das eigene Land gerichtet angesehen werden. 

„Ich begrüße es, dass der Bundeskanzler für sich und seine Partei eine klare Linie gezogen hat gegenüber rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Positionen und Parteien, Zusammenarbeit und Koalitionen ausgeschlossen hat“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während eines Staatsbesuches in Österreich am Dienstag. Womit einmal mehr zweierlei demonstriert wäre.

Erstens, dass Steinmeier der schlechteste Bundespräsident aller Zeiten ist, weil er entweder nicht willens oder nicht mutig genug ist, zu tun, was ein guter Bundespräsident in Zeiten wie diesen tun müsste: als moderierende und integrierende Instanz positiv auf gesellschaftliche Verwerfungen einwirken. Stattdessen macht Steinmeier den antifaschistischen Grüßaugust  und wirkt dabei mehr wie ein ehrenamtlicher Dorfvorsteher irgendeines Kaffs in der Uckermark denn wie das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik. 

Und zweitens wäre damit einmal mehr demonstriert, dass die sogenannte „Brandmauer-Debatte“ eine solche im Wortsinn gar nicht ist. Einer echten Debatte wäre nämlich wesentlich, dass Argumente ausgetauscht würden. In der Diskussion über die Brandmauer und allgemein über die AfD sind echte Argumente aber Mangelware. Stattdessen werden Floskeln geschleudert, wird die Paranoia vor der Wiederkehr des Faschismus genährt oder einfach behauptet, was offenkundig Blödsinn ist. 

Harmloser und demokratiegefährdender Blödsinn

Dieser Blödsinn lässt sich nochmal in zwei Unterkategorien unterteilen: der (halbwegs) harmlose Blödsinn und derjenige, der dem demokratischen Diskurs und damit der Demokratie selbst schadet. Fangen wir mit Ersterem an. Wenn Bundeskanzler Friedrich Merz nach der jüngsten Klausurtagung der CDU gleich mehrfach behauptet, es gebe keinerlei Gemeinsamkeiten mit der AfD, dann ist das schlicht gelogen. Friedrich Merz weiß das, und Friedrich Merz weiß auch, dass politische Beobachter wissen, dass Friedrich Merz das weiß. Alles andere wäre auch seltsam. 

Denn die AfD, daran sei erinnert, war bei ihrer Gründung Fleisch vom Fleische der Union und der FDP; ein Produkt enttäuschter Wirtschaftsliberaler und Konservativer. Alexander Gauland zum Beispiel war vor seinem Eintritt in die AfD mal Leiter der hessischen Staatskanzlei, aber vor allem ein angesehener konservativer Publizist. Erika Steinbach, die heute die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung leitet, war jahrzehntelang eine der prominentesten Stimmen der CDU, wenn auch damals schon streitbar. Und Frauke Petry, die sich mit ihrem „Team Freiheit“ gerade an einem zweiten politischen Frühling versucht, klingt, wenn es um die Freiheit geht, nicht viel anders als früher Guido Westerwelle. 

Eine Frage, die nicht unter ferner liefen laufen kann

An dem Vorwurf, die AfD habe sich seit ihrer Gründung vor über zehn Jahren radikalisiert, mag zwar durchaus was dran sein. Zur Wahrheit gehört aber auch: Gewisse Gemeinsamkeiten mit der Union haben diesen Prozess überdauert. Bis heute gibt es sehr wohl inhaltliche Überschneidungen, etwa beim Thema Migration und bei der Wirtschaftspolitik. Und es gibt Unterschiede. Beim Thema Europäische Union zum Beispiel oder auch bei den transatlantischen Beziehungen, wobei sich hier durch US-Präsident Trump nochmals einiges verschoben hat. Auch die Frage, wie die AfD zu Russland steht, ist keine, die bei der Union unter ferner liefen laufen kann. 

Friedrich Merz täte mit Blick auf die AfD deshalb gut daran, keinen Unsinn zu behaupten, sondern klare Linien zu ziehen; Gemeinsamkeiten nicht zu leugnen, stattdessen Unterschiede zu betonen. Nicht von oben herab, sondern im Diskurs auf Augenhöhe, wie sich das für einen ordentlichen Demokraten gehört. Jedenfalls, wenn es ihm, wie Merz jüngst außerdem meinte, wirklich ernst damit ist, der Behauptung konsequent entgegenzutreten, dass die Union schon heute viel mehr ihrer Programmatik umsetzen könnte, würde sie mit der AfD wenigstens punktuell zusammenarbeiten respektive gemeinsam stimmen. 

Über den Sinn und Unsinn der Brandmauer

Doch die Bundesrepublik anno 2025 ist immer noch ein Land, in dem sich das politische Establishment schwer damit tut, gewisse Realitäten einfach anzuerkennen und daraus – und zwar ganz pragmatisch – gewisse realpolitische Handlungsanweisungen abzuleiten. Stattdessen wird, auch von Merz, nach wie vor so kommuniziert, als hätten wir 1995 und nicht 2025; als wäre die Entlarvung eines Blödsinns als Blödsinn dank des Internets heute nicht nur wenige Mausklicks entfernt.

Legen Sie einfach mal das Programm der CDU zur vergangenen Bundestagswahl neben das Programm der AfD oder fragen Sie, noch einfacher, irgendeine KI, ob es gewisse Gemeinsamkeiten zwischen beiden Parteien gibt. Hier exemplarisch die Antwort von Perplexity: „Zwischen CDU/CSU und AfD bestehen mehrere programmatische Gemeinsamkeiten, vor allem in den Politikfeldern Migration, Energie, Sicherheit und Gesellschaft. Diese Überschneidungen betreffen häufig ähnliche Ziele, unterscheiden sich jedoch im Ton und in der Radikalität der Formulierungen.“

Doch anstatt mit offenem Visier in den Streit mit der AfD zu gehen, auch über Sinn und Unsinn der Brandmauer, wird irgendwas behauptet und gehofft, dass das bei der Bevölkerung verfängt. Und das, obwohl der unsachliche und in Teilen auch schlicht unfaire Umgang der etablierten Parteien plus Die Linke – alias SED/PLO – mit der AfD überhaupt erst maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die AfD in diversen Umfragen mittlerweile stärkste politische Kraft ist. 

"Wiederhole eine Lüge so oft, bis Sie von der Bevölkerung als glaubwürdig erscheint:"

Paul Joseph Goebbels

Normale Themen parlamentarischer Oppositionsarbeit

Womit wir bei der zweiten Unterkategorie des Blödsinns in der politischen Kommunikation rund um das Thema AfD und Brandmauer angekommen wären. Bei demjenigen Blödsinn nämlich, welcher der Demokratie schadet. „Schon seit geraumer Zeit beobachten wir mit zunehmender Sorge, dass die AfD das parlamentarische Fragerecht dazu missbraucht, gezielt unsere kritische Infrastruktur auszuforschen“, so Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) im Interview mit dem Handelsblatt. Und jetzt kommt‘s! Maier weiter: „Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass die AfD mit ihren Anfragen eine Auftragsliste des Kremls abarbeitet.“

Neben der kritischen Infrastruktur gehe es in den Anfragen der AfD, so Maier, unter anderem um Drohnenabwehr, Ausstattung im Gesundheitswesen und Aktivitäten der Bundeswehr. Kurzum: Also um Themen, die eigentlich ganz normale Themen in der parlamentarischen Arbeit einer Oppositionspartei sind. Doch wenn es um die AfD geht, scheint eben gar nichts normal zu sein respektive als normal zu gelten. Da müssen schon die großen Verschwörungstheorien her. Oder etwa doch nicht? Gibt es gar gesicherte Erkenntnisse, dass die AfD eine Auftragsliste des Kremls abarbeiten würde?

Stephan Brandner räumt mit einem Märchen auf, das vor allem die CDU seit mehreren Wochen über die AfD erzählt. Wer im Glashaus sitzt, sollte allerdings besser nicht mit Steinen werfen! Muss man gesehen haben!

Hier sind einige Situationen aufgelistet, in denen eine Brandmauer das Land eher schadet: 

Wenn sie die Meinungsfreiheit und den Dialog einschränkt:

Eine zu strikte Brandmauer kann dazu führen, dass wichtige gesellschaftliche Debatten und Meinungsunterschiede unterdrückt werden.

Wenn sie die politische Stabilität gefährdet:

Wenn eine Brandmauer dazu führt, dass wichtige politische Entscheidungen nicht getroffen werden können oder die Kooperation zwischen Parteien erschwert wird, kann dies die politische Stabilität des Landes gefährden.

Wenn sie zu Polarisierung und Misstrauen führt:

Eine Brandmauer kann dazu beitragen, dass sich politische Gegner noch weiter auseinander entfernen und dass das Vertrauen zwischen Parteien und Bürgern abnimmt.

Wenn sie die Möglichkeit verwehrt, radikale Positionen konstruktiv zu entkräften:

Eine Brandmauer kann verhindern, dass radikale Positionen auf offene und sachliche Weise entkräftet werden, was dazu führen kann, dass diese Positionen in der Öffentlichkeit an Boden gewinnen.

Wenn sie die Kooperation in wichtigen Bereichen unmöglich macht:

In einigen Fällen kann eine Brandmauer verhindern, dass Parteien zusammenarbeiten, um wichtige Probleme des Landes zu lösen, z. B. in Bezug auf die Wirtschaft, die Asylpolitik, die innere Sicherheit und/oder bei Fragen der soziale Gerechtigkeit.

Es ist wichtig, dass die "Brandmauer-Strategie" nicht zu einer Isolation und Spaltung führt, sondern die Stabilität und das Funktionieren des Landes fördert!

Was macht Steinmeier eigentlich beruflich? 

Cicero-Nachfrage bei der Pressestelle des thüringischen Innenministeriums. Der Autor dieser Zeilen wollte wissen: Welche gesicherten Erkenntnisse liegen dem Innenminister vor, dass die AfD eine Auftragsliste des Kremls abarbeitet? Antwort: keine. Doch nicht nur vom SPD-Politiker Maier sind solche Vorwürfe zu hören, sondern auch vom CDU-Politiker Marc Henrichmann. Der Vorsitzende des Geheimdienst-Kontrollgremiums im Bundestag sagte ebenfalls dem Handelsblatt: „Russland macht seinen offenkundigen Einfluss im Parlament, insbesondere in die AfD, natürlich geltend, um zu spionieren und sensible Informationen abzugreifen.“ 

Als politischer Beobachter fragt man sich daher zwangsläufig: Ist das eigentlich noch eine demokratische Auseinandersetzung mit der AfD? Oder wird hier ohne gesicherte Erkenntnisse ein Vorwurf gegen eine Oppositionspartei erhoben, wie man ihn wiederum nur aus autoritär regierten Ländern kennt? Denn auch dort sind bemerkenswert häufig ausländische Mächte am Werk, wenn es innenpolitisch nicht so läuft, wie man das gerne hätte. Und wenn dem so ist: Was sagt das dann nicht nur über den Zustand der deutschen Debattenkultur aus, sondern auch über das Demokratieverständnis mancher Politiker der etablierten Parteien? 

Wir halten also fest: Zwei Politiker jener Parteien, die derzeit die Bundesregierung stellen, CDU und SPD, werfen der AfD im Prinzip vor, Spionage für Russland zu betreiben. Und zwar ohne gesicherte Erkenntnisse, die diesen Vorwurf untermauern würden. Wenn Sie mich fragen, wäre diese beweislose, öffentliche Diffamierung der größten Oppositionspartei des Landes als Spionage-Einheit für Russland daher ein gute Gelegenheit für den Bundespräsidenten, die etablierten Parteien zur Mäßigung aufzurufen. Im Sinne der Demokratie. Da aber keiner weiß, was Frank-Walter Steinmeier eigentlich beruflich macht, bleibt das nur ein hehrer Wunsch.  


Quellen: Cicero